Der Verfall und die Zukunft der Železnice Srbije.
Eine herbstliche Bahnreise durch den Norden Serbiens.
Ich erinnere mich gerne an die legendären Züge wie den „Avala“ oder den „Orient Express“ die durch den Bahnhof Bruck rauschten. Züge die in Richtung Jugoslawien unterwegs waren. Diese Züge brachten einen Hauch von weiter Welt in meine kindliche Vorstellungskraft. Immerhin endeten die Züge in Istanbul oder in der Hauptstadt eines Landes am Meer, in Belgrad. Ziele die damals weit weg waren. Die mächtigen Triebwägen mit dem großen roten Stern an der Spitze beeindruckten mich an so manchen Urlaubstagen im ehemaligen Jugoslawien.
Die jugoslawische Staatseisenbahn, die Jugoslovenske Železnice (Југословенске Железнице), war einst eine stolze Eisenbahn die durchaus mit anderen großen europäischen Eisenbahnen mithalten konnte. In ihrer Blütezeit beförderten 115 000 Angestellte rund 129 Millionen Personen und 78 Millionen Tonnen Güter.
Die Personen- und Güterbeförderung nahm im Zeitraum von 1946 bis 1975 stetig zu. Belgrad entwickelte sich im Schienenverbund am Balkan zur wichtigsten Drehscheibe. Den Belgrader Eisenbahnknoten passierten 1960 rund 15 Millionen Bahnreisende.
Nun hatte ich das Vergnügen mit der Eisenbahn durch Serbien zu reisen. Von Budapest mit dem Nachtzug nach Belgrad. Hier war ich das erste mal ein wenig verwundert. Ein Nachtzug der zwei europäische Hauptstädte verbindet ist gerade einmal mit drei Waggons ausgestattet, einer davon ein Liegewagen in den meine Gattin keinen Schritt machen würde. Ich nehme an der Waggon stammt aus den frühen 1970 Jahren, dementsprechend war auch die Ausstattung. Mir persönlich ist ja Luxus relativ fremd. Hauptsache ich komme dort an wo ich hinwill. Und ich wollte aus vielen Gründen nach Belgrad. Alleine der Blick vom Kalemegdan in die ungarische Tiefebenen, und der Zusammenfluss von Save und Donau, ist schon eine Reise nach Belgrad wert.
Die Bahnstrecke Budapest–Belgrad mit einer Länge von rund 350 km führt hauptsächlich durch die ungarischen Tiefebene und anschließend durch die Vojvodina. Eine flache Landschaft, Felder bis zum Horizont, schnurgerade Strecke, kein Hügel weit und breit. Erst nach Novi Sad geht die Strecke ein kurzes Stück durch die Wälder der Fruška Gora. Danach wieder unendliche Weite und eine Streckenführung wie mit dem Lineal gezogen. Keine große Herausforderung für den Bau von Eisenbahnstrecken.
Trotzdem dauert die 350 Kilometer lange Fahrt mehr als acht Stunden. Die rund 300 Kilometer lange Strecke von Wien nach Salzburg bewältigt der ÖBB Railjet in wenig mehr als 2 Stunden. Im Schnitt ist man also in Serbien mit einer Geschwindkeit von Vmax (für Eisenbahnfreunde) 40 km/h unterwegs. Im Frühjahr 2011 wurde die bis dahin staatliche Železnice Srbije, in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Vielleicht liegt es auch daran?
Nach einer langen Nacht mit bemerkenswerten Grenzkontrollen an der Schengen-Grenze endlich in Belgrad Center angekommen und das zweite mal sehr verwundert. Ein Bahnhof mitten Irgendwo im Nirgendwo. Weit weg vom Stadtzentrum. Der Bahnhof Belgrad Center wurde 1977 als großes Projekt vorgestellt und sollte mit einer bemerkenswerten Architektur errichtet und ausgezeichnet werden. Geblieben ist nichts.
Einige unterirdische Gleise, keine Empfangshalle, keine Rolltreppen, kein Infopoint, kein Einkaufszentrum, keine Züge. Rein gar nichts. Ich dachte ernsthaft das ich an der falschen Haltestelle ausgestiegen bin. Neun Gleise liegen verlassen da, außer mir und ein deutsches Studentenpaar verließ keiner den Zug. Keine vernünftige Anbindung mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, alle 20 Minuten kommt ein Bus vorbei. An der Haltestelle Wien Praterkai fahren mehr Züge ein und ab als am Bahnhof Belgrad Center.
Kein Witz, sogar der Taxifahrer musste einen Kollegen fragen wo eigentlich der Bahnhof Center ist. Seit 1977 ist der Bahnhof im Bau!
Als jemand der sich beruflich mit dem Bau von Eisenbahninfrastrukturanlagen beschäftigt hat mich das natürlich interessiert und ich besichtige die Baustelle. Sage und schreibe vier Bauarbeiten bogen irgendwelche Eisen. Sonst war nichts von einer Bautätigkeit zu sehen. Offen gesagt der bemerkenswerteste Bahnhof den ich je gesehen habe und ich habe quer durch Europa viele Bahnhöfe gesehen.
Mir ist schon klar das der Krieg im ehemaligen Jugoslawien zwischen 1991 und 1999, vor allem aber auch die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO im Zuge des Kosovo-Konfliktes, einen massiven Rückschlag für die serbischen Eisenbahnen bedeutete. Doch einen internationalen Bahnhof zu betreiben, wo kein einziger Mitarbeiter kein Wort einer Fremdsprache spricht, nicht einmal Englisch, sagt eigentlich viel aus.
Sehr verwundert machte ich mich auf den zweiten Belgrader Bahnhof zu besuchen, der Bahnhof im Herzen der Stadt. Doch der Bahnhof Beograd-Glavna liegt in seinen sprichwörtlich letzten Zügen. Der wunderschöne Bahnhof, der zwischen 1881 und 1884 errichtet wurde, verband einst den Okzident mit dem Orient. Wien, Skopje, Sofia, Prag, Venedig, Thessaloniki und Istanbul waren Ziele die von hier aus bedient wurden. Heute kann man von Beograd-Glavna nur mehr in die Belgrader Vorstädte fahren.
Als Eisenbahnfreund blutet einen das Herz. Belgrad, eine europäische Hauptstadt hat einen verwaisten Bahnhof und eine Leiche. Zwar eine schöne Leiche, aber eben eine Leiche.
Das kann es ja nicht sein dachte ich mir und besuchte auch den Bahnhof von Novi Sad. Novi Sad ist mit mehr als 230 00 Einwohner immerhin die zweitgrößte Stadt in Serbien. Aber auch hier ein tristes Bild. Der Bahnhof der im schrägen jugoslawischen Baustil der 70iger Jahre errichtet wurde, dient als Treffpunkt für den Rand der Gesellschaft.
Ich habe den Flair des alten Praterstern geliebt und habe auf Bahnhöfen selten ein mulmiges Gefühl. In Novi Sad schon. Keine Security-Mitarbeiter, ja eigentlich waren am Bahnhof gar keine Eisenbahner zu sehen. Von Sligovic schwer gezeichnete Obdachlose prägen eher das Gesamtbild. Menschen die im Müll nach Verwertbaren suchen und streunende Hunde sind keine Seltenheit am Bahnhof Novi Sad. Der Verfall der Verkehrsstation ist nicht mehr zu kaschieren.
Geschlossene Warteräume, geschlossene Geschäfte, kaputte Scheiben, verwahrloste Bahnsteige. Wie man das bis 2021 hinbekommen will, immerhin ist Novi Sad mit seiner wunderschönen Innenstadt 2021 die europäische Kulturhauptstadt, ist mir ein wenig schleierhaft. Als der alte Praterstern in seinen letzten Stunden lag, haben wir als ÖBB den Bahnhof gemeinsam mit der Angewandten durch spannende Kunstwerke bzw. Installationen aufgewertet. Dies wäre auch für Novi Sad eine Möglichkeit.
Auf in die Provinz. Hier wurden die Bahnhöfe im Norden Serbiens teilweise noch von der ehemaligen K&K-Staatseisenbahn bzw. von den ungarischen Eisenbahnen errichtet. Wunderschöne Gebäude denen man das Flair vergangener Tage noch ein ansieht. Hier arbeiten Mitarbeiter die sich mit dem Bahnhof beschäftigen und zum Teil auch dort leben. Brunnen, Blumen und liebevoll gepflegte Vorgärten prägen hier das Bild.
Kein Wunder, auf so einen Dorfbahnhof sind ein paar Mitarbeiter beschäftigt und es fahren teilweise nur fünf, sechs Züge am Tag. Da hat man schon ein wenig Zeit die Blumen zu gießen, die Kätzchen zu füttern und sich um die Obstbäume zu kümmern. Das war der schöne Teil der Bahnreise durch den Norden Serbiens.
Kommen wir zur Zukunft. Die Pläne für den paneuropäischen Schienenkorridor Salzburg–Thessaloniki (Korridor X), der 2001 als Arbeitsgemeinschaft von zehn mittel- und südosteuropäischen Bahnen ins Leben gerufen wurde, hat die Schaffung einer länderübergreifenden, marktkonformen und kostenbewussten Infrastruktur im Güter- und Personenverkehr durch Südosteuropa zum Ziel. Kurz vor Novi Sad stehen schon die Baumaschinen bereit, die Trasse wurde bereits freigemacht und einer modernen Bahninfrastruktur steht offenbar nichts mehr im Wege.
Für die notwendigen Investitionen in die Elektrifizierung, den Bau eines zweiten Gleises in ausgewählten Abschnitten und die Installation moderner Signalausrüstungen werden nach Schätzungen der Regierung Investitionen von 1,7 Mrd. Euro notwendig sein. Nachdem sich China Anfang 2013 positiv zum Vorhaben der Regierungen Ungarns und Serbiens zum Bau der Schnellfahrstrecke geäußert hatte,wurde das Projekt auf dem China-CEE Gipfel in Bukarest von den Ministerpräsidenten Chinas, Ungarns und Serbiens genehmigt. Somit ist auch klar wer die Rechnung bezahlt und wer den Ton angibt.
Ich kann nur hoffen das die Strecke Budapest-Belgrad bald auf ein internationales Niveau gehoben wird. Wenn der Ausbau mit jenen in Österreich oder Deutschland vergleichbar wird, wäre man in rund vier Stunden in Belgrad und das Land, mit all seinen Reizen und Besonderheiten, ist endlich vernünftig an das europäische Bahnnetz angeschlossen.